Inmitten einer Wirtschaftskrise, der
sich auch der Einzelhandel stellen
muss, zeigt sich, dass sich die Schere
zwischen zusätzlichen Handelsflächen
und der Quadratmeterproduktivität
in einem immer ungesunderen Maß öffnet.
Dazu kommt, dass Trends in Demografie
und Nachhaltigkeit sowie ökonomische und
technologische Entwicklungen gewaltigen
Einfluss auf die Psyche des Verbrauchers
von morgen haben werden. Was wird dies
heißen für Bau und Planung neuer Shoppingcenter,
für die Revitalisierung von älteren
Handelsimmobilien, für die Erschließung
neuer Lagen?
Die Zeichen sind nicht einfach zu lesen
– und oft genug widersprechen sie sich
auch: Wie passen hoher Spritpreis und
Grüne Wiese noch zueinander? Vermindert
der E-Commerce-Boom den Bedarf
an neuen Point of Sales in der „tatsächlichen“
Welt – oder schafft er im Gegenteil
den Wunsch nach mehr „human
touch“? Soll man dem ergrauenden
Deutschland Flächen widmen, die
auf Seniorenbefindlichkeit hin
geplant sind – oder stigmatisiert
und verärgert dies eine Bevölkerungsschicht,
die sich ohnehin
schwer in eine Zielgruppe
ordnen lässt? Was, wenn beim
Verbraucher der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit
mit einem knapperen Budget kollidiert?
Wo läuft man Gefahr, einem schnelllebigen
Trend aufzusitzen, welches sind die
wirklich relevanten Entwicklungen, sowohl
on- als auch offline?
All diesen Fragen geht die Studie „Shoppingcenter
7. Generation“ nach, deren
Kernaussagen nachfolgend zusammengefasst
werden. Die Ergebnisse zeigen, dass
ein Um- und Vorausdenken im Einzelhandel
und im Geschäft mit Handelsimmobilien
nötig ist. Aber auch wenn die Retail-
Branche auf einen Wendepunkt zusteuert:
All das, was einen begeisterten Einzelhändler,
einen erfolgsorientierten Center-Planer
und einen klugen Handelsimmobilien-Strategen
in der Vergangenheit ausgezeichnet
hat, ist auch wegweisend für die nächsten
Jahrzehnte: das Wissen um die relevanten
gesellschaftlichen Strömungen, geschäftliche
Leidenschaft, Experimentierfreudigkeit.
Daher gilt es, das künftige Werteset
des Verbrauchers zu verstehen, sich und
sein Geschäftsmodell den gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Gegebenheiten
anzupassen.
Das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI)
hat sich dazu in einen Zeitpunkt eingedacht,
der im Jahre 2020 anzusiedeln ist,
und ausgewählte Experten aus Handel und
Immobilienbranche, Architekten, Designer
und Konsumforscher zu ihren Vorstellungen
und Visionen des Handels und deren
Auswirkungen auf die künftige Entwicklung
und Gestaltung von Handelsimmobilien
befragt. Die wichtigsten Ergebnisse und
Entwicklungstendenzen hat das GDI zu sieben
Thesen verdichtet:
1. Positionierung:
Mit dem Durchschnittskunden
verschwindet die Durchschnittsmall
Ein Überblick der 1a-Lagen in Deutschland
zeigt heute in den meisten Städten ein ähnliches
Bild: Große Textilhandelsketten dominieren
das Angebot, der Filialisierungsgrad
überschreitet bald die 70-Prozent-Marke.
In Shoppingcentern sieht die Situation oft
ähnlich aus. Die Gefahr mit „immer mehr
vom selben“ Angebot keine eigentliche Profilierung
geschweige denn Individualität zu
schaffen, steigt. Aus diesem Grund müssen
sich Center-Planer und Einzelhändler um
klarere Positionierung und das Setzen von
Themen kümmern. Ohne Alleinstellungsmerkmale
werden Handelsimmobilien der
Zukunft Opfer einer gewaltigen Overstoring-
Maschine werden.
2. Neue Urbanität:
Shoppingcenter schnuppern Stadtluft
Die Stadt verdient künftig erhöhtes Interesse
von Entwicklern und Einzelhändlern.
Höhere Energiepreise und der Verbraucherwunsch
nach Nähe und einer „Community“
rückten urbane Lagen in den Vordergrund.
Um die City neu mit Konsumräumen zu
bestücken, muss man sie aber auch lesen
können. Die Stadtlandschaft erfährt derzeit
einen Wandel, veränderte Lebensformen der
Dienstleistungsgesellschaft führen zur Vermischung
von Lebensbereichen und bringen
neue offene und integrierte Konzepte
als Alternative zu geschlossenen Megakomplexen
auf der Grünen Wiese hervor.
3. Nachhaltigkeit:
Bauhülle und Innenleben aufblühen lassen
Energie
sparen – Empathie verschwenden:
So könnte das Credo lauten, wenn man
den Trend zur Nachhaltigkeit auf Bau und
Betrieb neuer Handelsimmobilien umlegen
will. Was der baulichen Hülle an Energieeffizienz
verliehen wird, soll sich im Einzelhandelsbereich
fortsetzen. Mit einem Point
of Sale, der reagieren kann auf die Bedürfnisse
der Verbraucher und ein Geschäftsmodell
vorlebt, das Sinn macht in Sachen
Nachhaltigkeit. Eine besondere Herausforderung
wird es sein, das Thema Natur in
die Stadt hinein zu transportieren. Wenn
es Handelsimmobilien gelingt, Stadt und
Natur – zwei auf den ersten Blick gegensätzliche
Themen – stimmig und glaubwürdig
zu vereinen, dann sollten zwei wichtige
Andock-Stellen des Verbrauchers von morgen
aktiviert sein.
4. Wertewandel:
Neue Lagen kreieren
Trotz des E-Commerce-Booms: Der Verbraucher
will mehr denn je Authentizität
erleben. Das heißt: „Wirkliches“ sehen,
hören, riechen, schmecken. Bröckelndes
Vertrauen in die „Großen“ der Einzelhandelslandschaft
und ein wachsender moralischer
Anspruch an den Konsum bieten
Chancen für Individualisten. Umso mehr,
wenn diese sich zusammenschließen und
„Mehrwertkonzepte“ entstehen. Wer dies
richtig macht, kann der ernüchternden
Nachricht des „Mehr vom selben“ proaktiv
eine eigene Sicht der Dinge gegenüberstellen:
den Beginn einer neuen Vielfalt, die sich
abhebt vom bisherigen Mainstream. Lernen
von Vorreitern und Profis kann hier
auch heißen: Anstatt sich dem Diktat und
dem Preisterror der 1a-Lagen zu beugen,
kann man bei guter Kenntnis von Nachbarschaft
und Frequenz auch neue, eigene
Lagen kreieren.
5. Demografie:
Der Generation Gold ein zweites
Wohnzimmer schenken
Insbesondere durch den fortschreitenden
demografischen Wandel, durchs ergrauende
Deutschland, wird sich die Erlebnisorientierung
verändern. Mehr Wärme,
Gemeinschaft, Emotion, weniger schrille
und schnelle Inszenierung führen zu Gemüt
und Portemonnaie einer für Einzelhändler
attraktiven Generation Gold. Ausgehend
von der Philosophie des Dritten Ortes geht
es darum, für die wachsende Anzahl älterer
Menschen Konsumräume zu schaffen, die
eine willkommene Abwechslung zum eigenen
Zuhause bieten.
6. Nähe:
Lage ist wichtig,
Service wird noch wichtiger
Nicht alle Verbraucher haben Wahlfreiheit
beim Einkaufen. In der Rezession sogar
noch weniger. Um den Konsumenten der
Zukunft zu erreichen, wird sich der Einzelhandel
flexibler und zugänglicher zeigen
müssen. Händler werden vermehrt
dazu übergehen müssen, ihre Angebote mit
menschennahen, vor- und nachgelagerten
Dienstleistungen zu erweitern und in Formate
zu gießen, die genauer zur angesprochenen
Zielgruppe, zu deren Örtlichkeiten,
Beweglichkeit und tagtäglichen Wegstrecken
passen. Der Verkauf von Produkten ist nicht
mehr Selbst- und Endzweck, sondern Teil
eines umfassenden Service-Pakets.
7. Unstoring:
Der Handel verlässt den Laden
Der einst klar abgetrennte Raum des „Cyberspace“
ist zu einer neuen Dimension der Realität
geworden, die sich als zusätzliche
Ebene
über unsere Wahrnehmung legt. Dies beeinflusst
in zunehmendem Maße unser Verhalten
in der realen Welt. Unser Verhältnis zueinander
und zu Objekten wird sich radikal
verändern. Dank mobiler Geräte kann Kommunikation
und Konsum in Zukunft überall
dort stattfinden,
wo wir uns gerade aufhalten.
In einer extrapolierten
Form kann dies
bedeuten: Der Handel braucht den physischen
Laden nicht mehr (nur) zum Verkauf,
dafür umso mehr für andere Funktionen.
Der Konsumraum wird zum Experimentierfeld,
Begegnungsort oder Testlokal in der
„tatsächlichen“ Welt.
Gestern war die Handelsimmobilie ein
Ort, in der Handel stattfand. Morgen ist in
der Handelsimmobilie alles möglich. Was
dort genau getan werden wird, hängt von
den Sehnsüchten der Verbraucher ab, die
es frühzeitig zu erkennen oder zu wecken
gilt. Wie das in Handelsformate umgesetzt
werden kann, hängt von Gespür und Fantasie
der Einzelhändler ab. Wie das alles in
einer Erfolgsrechnung dargestellt werden
kann, hängt von der Fähigkeit zur Antizipation
der Handelsimmobilienentwickler
ab. Gut, wenn alle Beteiligten den Schlüssel
zur Zukunft in der Hand haben: das Wissen
um die gesellschaftliche und wirtschaftliche
Entwicklung des Verbrauchers. Denn
Kundenorientierung wird auch 2020 an der
Spitze jeder Retail-Agenda stehen.
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